Kommunale Selbstinszenierung

Organisatoren
Internationale Kommission für Stadtgeschichte; NCCR 'Mediality. Historical Perspectives'; Schweizerischer Arbeitskreis für Stadtgeschichte
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
03.09.2015 - 05.09.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Daniela Schulte, Historisches Seminar, Universität Zürich

Im Zentrum der Veranstaltung, die durch die ‚Internationale Kommission für Stadtgeschichte’, den NCCR 'Mediality. Historical Perspectives' (Martina Stercken, Zürich) und dem Schweizerischen Arbeitskreis für Stadtgeschichte (Christian Hesse, Bern) veranstaltet wurde, stand die bürgerliche Selbstinszenierung im städtischen Raum. In interdisziplinärer, zeiten- und länderübergreifender Perspektive wurden Situationen in den Blick genommen, in denen das Gemeinwesen als Organismus sichtbar und kollektive Vorstellungen der Bürger im Raum der Stadt erfahrbar gemacht werden.

Ausgehend vom ‚Sächsilüüte’, dem jährlichen Umzug der Zünfte durch die Zürcher Innenstadt, führte MARTINA STERCKEN (Zürich) in die Thematik der Tagung ein und umriss die drei Aspekte kommunaler Inszenierungen, die im Zentrum stehen sollten: (1) die performativen Praktiken, mit denen Geschichtlichkeit, Bedeutung und Identität der Stadtgemeinde im Stadtraum zelebriert werden, (2) die architektonische, städtebauliche und künstlerische Gestaltung des städtischen Raumes als Schauplatz öffentlicher Handlungen und (3) die unterschiedlichen Formen der Aufzeichnung, die kommunale Selbstbilder verstetigen, konstruieren und verbreiten.

In verschiedenen Beiträgen wurde ausgelotet, wie Städte ihre Vergangenheit konzipierten: ROMAN CZAJA (Torun) etwa ging dem Selbstverständnis von Stadtgemeinschaften im Ostseeraum zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert nach. Hier blieb das Konzept der „Communitas“ lange Zeit prägend für die Selbstdarstellung der Städte, auch zu einem Zeitpunkt, als sich bereits weitgehend oligarchische Herrschaftsformen durchgesetzt hatten. Mit dem Bild einer homogenen Stadtgemeinschaft wurden städtische Ordnung zur Schau gestellt und politische Strukturen stabilisiert.

Wie Geschichte durch Chroniken inszeniert wurde, stand im Mittelpunkt von DANIELA SCHULTEs (Zürich) Beitrag. Sie zeigte auf, wie Katastrophendarstellungen in den eidgenössischen Bilderchroniken des 15. bis 16. Jahrhunderts genutzt wurden, um den Zusammenhalt der Stadtgemeinschaft herauszustellen. Gerade solche kritischen Momente in der Stadtgeschichte konnten als positiver Wendepunkt gedeutet werden.

Wie sehr auch in der Neuzeit die eigene Geschichte wichtiger Bezugspunkt kommunaler Selbstinszenierung bleibt, haben zwei Beiträge aus dem angelsächsischen Raum gezeigt. So fragte ROEY SWEET (Leicester) nach der Instrumentalisierung von Vergangenheit in England zwischen 1680 und 1920. Dabei wurde deutlich, dass historische Festumzüge im England des 19. Jahrhundert nicht notwendig traditionsreiche Veranstaltungen waren, sondern vielmehr ein „Merry England“ des 15. und 16. Jahrhunderts zur Schau stellten.

Wie Sweet so ging auch VIVIAN BICKFORD-SMITH (Capetown/ Warwick) mit seiner Analyse öffentlicher Inszenierungen im Kapstadt des späten 19. Jahrhunderts Momenten der „invention of tradition“ nach. Dabei stellte er heraus, dass es hier – sowohl im Hinblick auf Architektur und Städtebau als auch bei größeren Veranstaltungen im Stadtraum – vor allem darum ging, die Stadt als britisch zu präsentieren. Diese starke Orientierung der Kapstadter Bürger an Großbritannien zeigt sich insbesondere im Vergleich zu Johannesburg, wo die britische Identität weniger thematisiert wurde.

Rituale und Zeremonien waren ein weiteres zentrales Thema der Vorträge: In diesem Kontext zeigte GERRIT JASPER SCHENK (Darmstadt), wie mit Prozessionen in Krisenzeiten Politik gemacht werden konnte. Am Beispiel der Straßburger Luxprozession wurde hervorgehoben, dass Prozessionen sowohl dazu beitragen konnten, Kontingenz zu bewältigen, als auch im Verlaufe des 15. Jahrhunderts immer wieder als Mittel der Herrschaftslegitimation eingesetzt wurden.

In ihrem Beitrag ging REGULA SCHMID (Bern) von der Beobachtung aus, dass gerade in der Eidgenossenschaft des 15. und 16. Jahrhunderts die Inszenierung von Bündnissen in den Vordergrund gerückt wurde. So wurden die Wappen der Bündnispartner in ungewöhnlichem Ausmaß im Stadtraum sichtbar gemacht; zudem wurde der Schwur zum bedeutenden Element von Ritualen. Die kommunalen Inszenierungen machten die eidgenössischen Bündnisse immer mehr zum Bezugspunkt, um die Bürgerschaft zu veranlassen, die gemeinsame Politik zu unterstützen.

Auf die Bedeutung des Johannestags in westschweizerischen Städten gingen LIONEL DORTHE (Lausanne) und KATRIN UTZ TREMP (Fribourg) ein. Dieser wurde im Verlaufe des Spätmittelalters für die Stadt Fribourg zum zentralen Element des politischen Festjahres. Im Ritual wurde dabei ein neues Selbstverständnis als „Freiburger“ vermittelt, zugleich wurden Ordnung und Ehre der Stadt propagiert. Obschon Freiburg für die Städte der Westschweiz ein Vorbild für städtische Autonomie darstellte und der Johannestag auch in Payerne gefeiert wurde, so hatte er hier offenbar nicht dieselbe Bedeutung wie in Freiburg.

OLGA KOZUBSKA (Lviv) setzte mit ihrer Analyse von Inszenierungsstrategien beim Fall der westukrainischen Stadt Lemberg zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert an. Sie wies darauf hin, wie sehr die kommunalen Selbstinszenierungen von den verschiedenen kulturellen und religiösen Gruppierungen vor Ort geprägt waren. Das Zentrum der Zurschaustellung bürgerlicher Eliten, die ab dem 16. Jahrhundert auch immer mehr Bildung als Voraussetzung für die Teilhabe an der Regierung einschloss, war indes die Kathedrale der Stadt.

In den Blick genommen wurden auch die Schauplätze kommunaler Selbstinszenierung: WERNER FREITAG (Münster) zeigte, in welcher Weise der Marktplatz als wirtschaftliches Zentrum der Stadt die Macht des Stadtrates demonstrierte. Unter anderem setzen Marktordnungen, Marktpersonal, Marktgericht und visuelle Zeichen die Oberhoheit der Stadt über diesen Ort in Szene. Festgehalten wurde zugleich, dass die konkrete Wirkmacht der Markierungen des Marktraums letztlich offen bleibt.

MARTIN UHRMACHER (Luxemburg) machte deutlich, dass das Leprosorium vor der Stadt nicht nur als ein Ort der Exklusion, sondern durchaus auch als prominentes städtisches Gebäude zu gelten hat. Ihre besondere Lage jenseits der Mauern, die stattliche Bauweise und die am Gebäude angebrachten Wappen weisen darauf hin, dass Leprosorien sich allen der Stadt Nähernden als erste Aushängeschilder der Bürgerschaft präsentierten.

Dass die Befestigung vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit nicht nur militärische Zwecke erfüllte, sondern häufig auch das Bild einer wehrhaften und mächtigen Stadt transportieren sollte, zeigte ARMAND BAERISWYL (Bern). Er betonte die Monumentalität von Befestigungsanlagen, die auch bauliche Einheit demonstriert. Zugleich deutet die Beobachtung, dass viele Befestigungen zur Zeit ihrer Erbauung bereits militärisch sinnlos waren, auf ihren vor allem repräsentativen Charakter hin.

Schließlich bildeten Entwürfe von Stadtraum eine Klammer verschiedener Beiträge. KEITH LILLEY (Belfast) befasste sich am Beispiel des „Bristol Calender“ aus dem 15. Jahrhundert mit den Verfahren, mit denen eine Karte konkrete Orte mit der Vergangenheit einer Stadt verbinden kann. Ihm ging es darum deutlich zu machen, dass eine kartographische Darstellung nicht nur Wissensbestände zusammenträgt, sondern auch räumliche Praktiken vermittelt und ein Konzept von Stadt lanciert.

Am Beispiel österreichischer Städte im 18. Jahrhundert untersuchte MARTIN SCHEUTZ (Wien) eine Zäsur in der städtischen Raumgestaltung, die sich mit der Ersetzung des Prangers durch Dreifaltigkeitssäulen vollzog. Damit wurde ein gegenreformatorisches konfessionelles Leitbild propagiert und mit politischen Interessen von Stadt und Herrschaft sichtbar verknüpft.

Paris war Gegenstand von BETTINA KÖHLERs (Basel) Analyse des städtischen Wohnhauses Anfang des 18. Jahrhunderts. In der königlichen Stadt bestimmten die Prinzipien des 'embellisement' und der 'utilité' gleichermaßen Wohnhäuser und Stadtplanung. Die Gestaltung der Häuser stand für die bürgerlichen Tugenden seiner Bewohner und bedeutete eine Inszenierung von Urbanität durch die Bürger.

Ein Symbol für die Stadt sollte auch der Stadtkernentwurf Gustav Gulls für Zürich Anfang des 20. Jahrhunderts werden. CHRISTINA GUTBROD (Zürich) analysierte, wie die städtischen Amtshäuser architektonisch die historische Stadt aktualisieren und den Wandel Zürichs zu einer Großstadt widerspiegeln sollten. Die harten Auseinandersetzungen um das Projekt lassen den zeitspezifischen Diskurs um großmaßstäbliche Inszenierungen einer neuen Stadt erkennen.

Insgesamt betrachtet, hat die Tagung die große Vielfalt an Modi der Selbstinszenierung deutlich werden lassen, die politisches Handeln im städtischen Raum akzentuieren. Die Muster der Inszenierung von Kommunen scheinen in den spätmittelalterlichen Städten ausgebildet worden und dann immer wieder neu den individuellen Bedürfnissen vor Ort angepasst worden zu sein. Dabei wandelten sich zwar Akteure und Zielpublikum, doch war es in der Regel die städtische Führungsschicht, die ihre Stadt konzipierte und deren Identität prägte. Inszeniert wurden vor allem soziale Errungenschaften und Werte der bürgerlichen Gemeinde, die Legitimität der Stadtregierung wie auch die Historizität und Bedeutung der Stadt.

Konferenzübersicht:

Konzeptionen von Vergangenheit

Roman Czaja (Torun): Die Selbstdarstellung der Stadtgemeinden im Ostseeraum vom 13. bis zum 17. Jahrhundert

Daniela Schulte (Zürich): Katastrophendarstellungen als Inszenierung kommunalen Zusammenhalts

Roey Sweet (Leicester): Rituals, Pageants and the Use of the Past in British Cities, c. 1680–1920

Vivian Bickford-Smith (Capetown/Warwick): Staging the Urban Community in Late Nineteenth Century Cape Town

Rituale und Zeremonien

Gerrit Jasper Schenk (Darmstadt): Krisenrituale. Vom Nutzen und Nachteil kommunaler Selbstinszenierung angesichts drohender Gefahren

Regula Schmid (Bern): Das inszenierte Bündnis. Nutzen und Risiken der politischen Selbstbindung in Städten der Eidgenossenschaft

Lionel Dorthe (Lausanne)/ Katrin Utz Tremp (Fribourg): La Saint-Jean: von Freiburg nach Payerne exportiert?

Olga Kozubska (Lviv): Strategies of Staging and Self-Representation: Urban Elite versus Community. A Case of Lviv/Lemberg

Bauten und Räume

Werner Freitag (Münster): Inszenierte Stadtwirtschaftspolitik: der Marktplatz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

Martin Uhrmacher (Luxemburg): Leprosorien als kommunale Repräsentationsbauten im vorstädtischen Raum. Ein neuer Blick auf eine bisher wenig beachtete städtische Baugattung

Armand Baeriswyl (Bern): Torturm und Zinnenkranz. Die Stadtbefestigung als Mittel der kommunalen Selbstinszenierung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit

Stadtraum als Entwurf

Keith Lilley (Belfast): Mapping in the Imaging and Imagining of Urban Spaces

Martin Scheutz (Wien): Ein neuer Star auf der wichtigsten Bühne der Stadt? Die Versäulung von frühneuzeitlichen Stadtplätzen durch Dreifaltigkeitssäulen

Bettina Köhler (Basel): Civilité et Société. Der Fall Paris

Cristina Gutbrod (Zürich): "Das Symbolum des großen Gemeinwesens". Gustav Gulls Stadtkernentwurf für Zürich


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch
Sprache des Berichts